Samaya Almas Thier

Autorin: Julia Connert

Flirrende Strukturen einer großen Palette von Grüntönen, aber auch Ocker-, Braun- und Grautöne, bis ins Bläuliche, bilden auf rohen, unbehandelten Leinwänden Verdichtungen oder strukturieren, in zart bewegtem Rhythmus, die monochrome Fläche des Malgrundes. Tupfer und Linienformen verweben sich und modellieren pflanzenhafte Erscheinungen. Es entstehen Formen, die mal an grün wuchernde Wasserpflanzen erinnern, mal wie ein Blick in das Dickicht eines üppig wachsenden Regenwaldes erscheinen, mal aber auch fast abstrakte Lineaturen bleiben, die nur noch als Spur von Natur gelesen werden können. In gleicher Wertigkeit wie die Farbstrukturen bilden auch die Leerstellen den Bildraum. Raumillusion und Präsenz der Bildfläche bleiben in einem Vexierspiel, das sich nie ganz auflöst. Der Bildraum changiert zwischen Konkretisierung und Entmaterialisierung, zwischen Bildhaftigkeit und Abstraktion.
Natur erscheint hier als Fragment, als flüchtige Erinnerung, als sinnliche Explosion. Die Malerei wird zur poetischen Liebeserklärung an die Natur. Erinnerungen an eine Kindheit in einer weiten Welt, Begegnungen mit Indien und Südamerika schwingen nach. Der Besuch im botanischen Garten liefert das Bildmaterial, das, mit der Kamera festgehalten, im Atelier zum Ausgangspunkt einer malerischen, collagenhaften Transformation der visuellen Spur der Fotografien wird. Da, wo die Natur zum Bild wird, ist sie bereits in einer großen Ferne, sie ist nur noch als Abbild, als Erinnerung da.
„Alles vergeht mit einer erschreckenden Schnelligkeit“(1), schreibt Paul Cézanne 1906 an seinen Sohn. Eine mögliche Motivation für die malerische Auseinandersetzung Cézannes mit der Natur beschreibt der Zeitgenosse und Kunstkritiker Joachim Gasquet in seinen, zum Teil auch fiktionalen, Erinnerungen an die Begegnungen mit dem Künstler: „Die Natur ist immer dieselbe, aber von ihrer sichtbaren Erscheinung bleibt nichts bestehen. Unsere Kunst muss ihr die Erschütterung der Dauer geben, mit den Elementen und der Erscheinung all ihrer Veränderungen“(2). Die Kunst wird als Impuls und Gegenmittel gegen das Entschwinden der permanent veränderlichen Natur vorgestellt. Was aber bedeutet diese Überlegung im Angesicht des Verschwindens der Natur als solcher? Die erinnerte Fülle, die Bilder aus dem botanischen Garten: die Natur ist hier, anders als bei Cézanne, der in der Natur selbst malte, bereits in einer großen Distanz zur Künstlerin. Als Erinnerung ist sie mentales Bild, im botanischen Garten die Konstruktion einer gemachten und für den exemplarischen Raum verdichteten Form. Die Bilder werden zu Vexierbildern zwischen der Lust an der Naturerinnerung und dem Schmerz, den ihre Abwesenheit, ihr zusehendes Verschwinden auslöst. In der Idylle steckt zugleich die Katastrophe.
Ein Beitrag zur Suche nach Denkfiguren, die einem neuen Verhältnis von Natur und Menschheit den Weg ebnen könnten, ist Gilles Cléments Bild des „Planetarischen Gartens“. Der Botaniker und Landschaftsarchitekt Clément begreift den Planeten Erde als Garten mit begrenzter Fläche, der mit Verstand bewirtschaftet werden muss. Es geht um ein sensibles und aufmerksames Agieren in und mit der Natur, um ein ausbalanciertes Austauschverhältnis. Die zwingende, sogar überlebenswichtige Notwenigkeit der Balance ist auch für den Entstehungsprozess der hier betrachteten Serie geradezu konstitutiv: der bedachte, wohlüberlegte Auftrag der Aquarellfarbe wird zu einem Vorgang, der nur in einer meditativen Arbeitsweise möglich ist, einer Arbeitsweise, in der die Künstlerin ein Sensorium für den Moment entwickelt, in dem das ästhetische Gefühl der Ausgewogenheit kippt, wenn der Prozess des Malens am Bild fortgesetzt werden würde. Das künstlerische Arbeiten wird zum Training am Balanceakt.

1  Vgl.: Alexander Eiling (Hg.): Aust. Kat. Cézanne: Metamorphosen. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. München: Prestel Verlag 2017, S.316: Paul Cézanne an seinen Sohn Paul, 15.10.1906, zit nach: John Rewald, (Hg.): Paul Cèzanne Briefe. Zürich: Diogenes 1979, S.312.
2  Vgl.: Eiling.: Cézanne Metamorphosen.., S.316: Joachim Gasquet zit. nach: Michael Doran (Hg.): Gespräche mit Cézanne. Zürich: Diogenes 1982, S.136 f..

Alle Bilder: Aquarell auf Leinwand

 

Vita

Samaya Almas Thier

geboren in Foxo (Spanien), lebt und arbeitet in München

2006-2013 Studium der Malerei und Grafik bei Prof. Axel Kasseböhmer und bei Prof. Jean-Marc Bustamante (Meisterschülerin), AdBK München

Teilnahme an den Projektklassen Angela Dwyer und Schorsch Kamerun

2013-2016 Master-Studium Bildnerisches Gestalten und Therapie bei Prof.in Senta Connert, AdBK München

2019 Studium der Freien Kunst bei Prof.in Schirin Kretschmann, AdBK München

Projekte / Ausstellungen

2020 Blaue Zipfel – für Axel!, Galerie der Künstler, München
2020 Garten, Diplom der Freien Kunst, AdBK
2017 Finir en Beauté, Galerie der Künstler, München
2016 Die 7 Todsünden, VerpackereiGÖ, Kulturraum Almgäu
2015 Arkadenale PiEP, Kunstarkaden, München
2015 Konglomerat, Kunstpavillon am Alten Botanischen Garten, München
2014 Das Kind als Objekt in der Kunst, Center for Advanced Studies
2014 Liebe Freiheit!, Projektausstellung, Leonrod haus der Kunst
2014 TORPEDO – der letzte Tritt Projektausstellung, Pretzfelderstr. 26, München
2014 Die Arbeit Die moderne Der Traum vom Ausweg, AdBK
2013 Zimmer Frei, Künstlerprojekt im Hotel Mariandl, München
2013 The poster exhibition – Artist comes first, Festival International d‘art, Toulouse
2013 BOOM, Diplom der Malerei und Grafik als Meisterschülerin, AdBK

2012 Instant Ausstellung, Kd3G Projektraum, Türkenstr. 71, München
2012 Jahresausstellung, AdBK
2012 Das Ende der Selbstverwirklichung, Schorsch Kamerun und die JUBELPERSER, Akademiegalerie, München
2011 Diverse Projekte mit Schorsch Kamerun und der Kunstgruppe dieJUBELPERSER an den Münchner Kammerspielen bei der Reihe Holt mich hier raus (ich bin hier vor der Wand)
2011 Foro de Arte Joven VI und VII, Instituto Cervantes, München
2011 Dia de Muertos, Domagkateliers Halle 50, München
2010 Foro de Arte Joven IV und V, Instituto Cervantes, München
2010 Europäische Begegnung, Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz
2010 Aletheia, Offene Domagateliers zu Gast bei Raquel Ro, München
2010 Glasbox, Klasse Angela Dwyer, Akademiegalerie, München
2009 The woman next Door, Gartenhaus der Kunst, München
2009 Foro de Arte Joven III, Instituto Cervantes, München

www.samayathier.de